Über den Vorteil aller

Wenn diese so genannten „sozialen“ Netzwerk einen positiven Aspekt haben sollten, dann wohl den, dass wir uns in uneingeschränkter voyeuristischer Weise ein Bild über Leute machen können, die wir garnicht kennen, und wohl auch besser garnicht kennen gelernt hätten, würden sie uns nicht täglich via der so genannten „traditionellen“ Medien ins Haus schneien, ohne dass wir uns dagegen wehren könnten.

Und jetzt besprechen wir einmal ganz offen und auch unmissverständlich die Lage, wie unser eigener Maßstab denn so aussieht.

Diese oberblauen Seiten langweilen uns schon gewaltig mit ihren eintönig hetzenden und ewiggleichen Hasstiraden. Die inhaltliche und personelle Armut der Partei und Bewegung und Familie wird durch Kopipaste-Orgien übertüncht, deren einziger Inhalt die nahende Erlösung durch den Heiland ist. Auch wenn wir uns letztens mit der Allogamie aus dem ideologischen Umfeld beschäftigt haben – die Suppe ist schon sehr dünn.

Die einzige Erheiterung, die sich uns noch bei unserem lustlosen Durchblättern der intellektuellen Einöden bietet, ist die Beobachtung, wie die unmorphiert-autochthone Bevölkerung tagtäglich einerseits an ihrer Muttersprache scheitert, und sich gleichzeitig bereitwillig jeder Gelegenheit hingibt, den von oben entzündeten Hass auch glühend nach unten weiterzutragen, und ihn an den vermeintlich noch weiter unteren abzuladen.

Nach dem Wegbruch der Doppelspitzenhälfte wurden uns ja jüngst die Kreativergüsse für den aktuellen Wahlkampfwahnsinn präsentiert, und dennoch überrascht uns die Tatsache, dass die kaum überbietbar geglaubte Debilität der gereimten Sprüchleins (in ganzer Pracht) doch noch überboten wurde, und trotzdem bei der Anhängerschaft nicht auf ungeteilte Zustimmung trifft.

Aber was soll man machen, die Sujets sind fertig, jetzt heißt’s, sie unter die Leute zu bringen. Und das geht so:

"noch viel besserer für alle"

„noch viel besserer für alle“

Man sieht, hier waren Profis am Werk: Das Originalbild mit schwarzem Trauerrand (rechts? hihi), und dann noch mit Paintbrush das „besser für kopiert“, und mit einer ganz anderen Schriftart „die Türkei“ dazugepinselt. Fertig ist das Meisterwerk.

Nicht dass wir das nicht auch könnten

"noch besserer für alle. aber wirklich"

„noch besserer für alle. aber wirklich“

aber was soll das alles bedeuten? Würden sich Österreicher ärgern, wenn sie so einen Spruch in dem Land, in dem sie leben, lesen müssten? Und zwar an jeder Ecke? Und aber würden sich Türken über diesen Genius ärgern, wenn sie so einen Spruch in dem Land, in dem sie leben, täglich lesen müssen?

Warum ist das überhaupt Thema? Es ist ja nicht so, dass der EU-Beitritt der Türkei kurz bevorstünde. Im Gegenteil, wird die Türkei seit dem Jahr 1959 hingehalten, ob nun berechtigterweise oder nicht. Das ist ganz schön lange, vor allem verglichen mit den Beitrittsverfahren diverser… dürfen wir noch Ostblockländer sagen? 😀

Doch was bezweckt das Sprüchlein nun wirklich?

Wir erinnern uns an ein ähnliches Vorkommnis vor einem Dreivierteljahr, als wir uns mit „einem Türkenproblem“ konfrontiert sahen. 4000 Likes und 2300 Kommentare konnte der tapfere Kämpfer der Nächstenliebe damals einheimsen, ehe das Posting verschwand. 7000 Likes sind es jetzt gerade beim aktuellen Posting, und das in knapp 4 Stunden – ein europapolitisches Erdbeben, möchte man meinen.

Der arme Bundeskanzlerpräsidentenbürgermeisterkandidat der Volksfestherzen mag auch diesmal nichts Böses erkennen:

"rassistisch? nichts!!!"

„rassistisch? nichts!!!“

„Nichts!!!!“ antwortet dem Mann auf einen Kommentar, den wohl irgendjemand versehentlich gelöscht hat. Bittschön, so führt man doch keine Gespräche!

Doch wie steht’s um die Rezeption beim geschätzten Publikum? Nun, sie ist durchwachsen. Während sich die einen einmal eher global orientieren müssen

"was wird gewählt?"

„was wird gewählt?“

(Hinweis: nein, es geht nicht um die blau geshoppten Augen, und nein, Herr Strache tritt nicht an, obwohl er von jedem Plakat grinst)

melden sich auch die EU-„Skeptiker“ zu Wort, um ihre antrainierten Floskeln loszuwerden

f-eutr-eu

und der Verweis auf einen NPD-Slogan darf auch nicht fehlen.

"Ist der Ali kriminell, in die Heimat aber schnell!"

„Ist der Ali kriminell, in die Heimat aber schnell!“

Und während einige wenige das billige Spiel der Partei mit den Emotionen anprangern

f-eutr-fp

f-eutr-fp2

entspinnt sich eine lebhafte Diskussion um die EU, die Türkei, welches jetzt genau superer ist, die Historie der so genannten Gastarbeiter im Zuge des Wiederaufbaus vorher zerstörter Länder, die Herkunft des Kebabs, und das schlimmste, was überhaupt passieren kann: Türken, die mitkommentieren:

"Türken? Warum posten die da?"

„Türken? Warum posten die da?“

Und sollten wir annehmen können, dass einige dieser Poster auch der blauen Seite folgen, um die diversen Äußerungen zu verfolgen, dann sind diese natürlich auch in der Zahl der Likes enthalten

"Herzlichen Dank für 195.000 "Gefällt mir"-Angaben. Ihr seid spitze"

„Herzlichen Dank für 195.000 „Gefällt mir“-Angaben. Ihr seid spitze“

die regelmäßig zelebriert wird. Ja, die sind auch „spitze“, wenn auch nicht Doppelspitze.

(Kleiner Einschub:

Die Formel lautet: Erfahrung und Verjüngung. Das kündigte FPÖ-Obmann HC Strache heute bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem freiheitlichen EU-Abgeordneten Andreas Mölzer an

verlautete damals die Frohbotschaft, aber die Erfahrung ist ja jetzt leider weggefallen)

Apropos Erfahrung: erfahrungsgemäß führen polarisierende Slogans zu „polarisierten“ Reaktionen, und es darf deshalb auch der latente Ausländerhass und Alltagsrassismus rausgekotzt werden, selbst wenn die schriftsprachliche Formulierungskunst etwas zu wünschen übrig lässt:

"tirgnschwei", "ratten", "grippen", "zififressn", "ausschwitz"

„tirgnschwei“, „ratten“, „grippen“, „zififressn“, „ausschwitz“

"musche", "kebapschaß", aa ficker", "schmarotzer", "vieh"

„musche“, „kebapschaß“, aa ficker“, „schmarotzer“, „vieh“

"arbeit macht frei", "kanaken", "hitla"

„arbeit macht frei“, „kanaken“, „hitla“

Nun ist es das eine, wenn der eine einen Schas ins Facebook rotzt, und der andere administrativ aufräumen muss. Darum geht’s uns grad aber nicht.

Vielmehr würden wir Herrn Strache jeden einzelnen Kommentar vorlesen und ihn dazu befragen, was er dem jeweiligen Kommentatoren darauf antworten würde. Ob das wohl ohne Ausflüchte auf Öllinger-Fakeprofile und anonyme Fake-Profile aus Amerika abgehen täte?

„Frau Thurnher, jedes schäbige Posting, das zu Gewalt aufruft, hetzerisch ist, ja, und Leute diskriminiert, lehne ich grundsätzlich ab. Aber gerade in einem Wahlkampf, wo wir leider mit Dirty Campaigning konfrontiert sind und Fake-Profile anonymer Art in Amerika angemeldet werden und dann eben mit unwahren Unterstellungen operiert wird, Frau Thurnher, Sie natürlich auch mit unterstützen hier, keine Frage…“

Spielstand am verkaterten Morgen danach: 9100 Likes, 3200 Kommentare.

Nachtrag 10:30: Dem nächtlichen Spuk wurde ein Ende bereitet

türkei - ende

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3 Antworten zu Über den Vorteil aller

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