Über untergejubelte, aber gern verwendete Zitate

In der kurzen Zeit, die wir dem neuen und mittlerweile liebgewonnenen Hobby der Zitat-Recherche (Nadeln sammeln ist out, Briefmarken reizen auch nicht mehr) nachgehen, ist uns ja schon einiges untergekommen.

Heute widmen wir uns dem Ausspruch

Wenn der Faschismus wiederkehrt, wird er nicht sagen: «Ich bin der Faschismus» Nein, er wird sagen: «Ich bin der Antifaschismus»

der, wie Wikipedia zu berichten weiß, einem Herrn Silone zwar zugeschrieben wird, aber nicht durch ihn belegt ist:

Mit diesen Worten wird Silone von François Bondy zitiert – das Zitat selbst kommt in Silones eigenen Werken nicht vor.

François Bondy: Pfade der Neugier: Portraits. Benziger, Einsiedeln 1988. S. 84.

Auch die andere allwissende Müllhalde will nicht so recht mit ihrem Wissen rausrücken

Bondy: Silone und der Faschismus-Satz

Bondy: Silone und der Faschismus-Satz (Google Books)

und die Diskussionsseite auf Wikiquote endet mit der Feststellung

Ohne anständige Quellenangabe darf man das Zitat nicht einfügen

und verlinkt auf andere Seiten, die’s auch nicht belegen können, aber auf andere Seiten verlinken, die das eben auch nicht können, aber immerhin unisono erklären, dass dem eben so sei.

Die rechte Spaßseite Metapedia ist überhaupt zu faul, aus Wikipedia abzuschreiben, und gibt lieber eine Tertiärquelle an

Zitiert in: Nation Europa: Band 59, 2009, S. 17

Egal, wir gehen den Leuten nach, die was zu dem Zitat zu sagen haben, wie zum Beispiel Namidh:

Um besonders belesen und nicht als Phrasendrescher zu wirken, wird gerne noch beigefügt, von wann bis wann der Mann gelebt hat und dass er, wie bereits erwähnt, Schriftsteller und auch Sozialist war. Was übrigens der Wahrheit entspricht.

Weniger wahrheitstreu ist das obige Zitat: Es gibt keinen Beleg dafür, wonach Silone (der überdies Secondino Tranquilli hieß und erst spät sein Pseudonym zum Namen machte) tatsächlich derlei Worte von sich gab – und dabei ist der Mann kein Unbekannter, gerade die italienischen Medien kritisierten seine Schriftstücke sehr, während er im Westen wohlwollender aufgenommen wurde.

Es ist somit festzuhalten: Es gibt keine klare Quellenangabe, es gibt auch keinen Beweis und im Italienischen gibt es keine Übersetzung

oder einem/einer gewissen Stromsau, die einerseits die Verwendung des Zitats sowohl links als auch rechts ortet, wiewohl oft auch nur als kontextlose Signature, andererseits auch interessant analysiert:

Rechte und linke Moralisten freuen sich diebisch, wenn sie Anhängern einer abweichenden Moral mit diesem Zitat verärgerte, unbedachte Reaktionen entlocken und sie so vorführen.

Nach meiner Kenntnis gibt es nirgendwo einen brauchbaren Beleg, dass Ignazio Silone dies jemals irgendwo gesagt oder veröffentlicht hat.

und fasst zusammen

Dabei fiel mir auf:

  • Dass der Spruch nirgendwo mit einer weitergehenden zeitlichen Einordnung als „Ignazio Silone, 1900-1979″ genannt wird

  • Dass er in zitierfähigen Sprüchesammlungen, die andere Silone-Zitate enthalten, nicht auftaucht

  • Dass er auch auf einschlägigen italienischen Silone-Seiten wie http://www.silone.it nicht genannt wird

  • Dass der Spruch im Englischsprachigen quasi kaum zu finden ist und wenn, dann als meist holprige Übersetzung von Quellen, die entweder über Deutschland berichten, aus Deutschland stammen oder deutsche Autoren haben.

  • Dass der Spruch in seriösen Magazinen mit Revisionsabteilungen nicht zu finden ist

  • und dass er zu Silones Biographie nicht passt, in deren Wandel er sich zwar von der SU und den an sie angelehnten Kommunisten abwendet, dabei mit Demokratie, Reformismus, Westen und USA seinen Frieden macht und durchaus einige fragwürdige Entscheidungen trifft, sich aber nie offiziell vom Antifaschismus abwendet.

und diese Abhandlung wird andernorts weiter abgehandelt.

Nach all den Argumenten, die das Zitat unglaubwürdig bis unwahrscheinlich machen, lehnen wir uns gemütlich zurück, und postulieren einfach:

Da sich eine Nichtexistenz generell nicht beweisen lässt, muss folglich der Existenzbehaupter die Existenz beweisen. Sprich: Wer zitiert, muss auch die Quelle nennen.

Wer zitiert denn aller bei uns?

RFJ-Gudenus, 26.2.’09: Diesen Antifa-Genossen sei der Spruch des linken Antifa-Kämpfers Ignazio Silone ins Stammbuch geschrieben: „Der Faschismus von heute sagt nicht: Ich bin der Faschismus. Er sagt: Ich bin der Antifaschismus!“

FPÖ-Hofer, 4.3.’10: Dazu sei ein Zitat des italienischen Genossen Ignazio Silone in Erinnerung gerufen, der über den Antifaschismus wie folgt urteilte: „Der neue Faschismus sagt nicht: Ich bin der Faschismus. Er sagt: Ich bin der Antifaschismus.“

FPÖ-Kickl, 30.1.’12: „Der neue Faschismus wird nicht sagen: Ich bin der Faschismus; er wird sagen, Ich bin der Antifaschismus!“ „Dieses visionäre Zitat des italienischen Schriftstellers und sozialistischen Widerstandskämpfers Ignazio Silone, sollten sich all jene vor Augen halten, die heute gegen Andersdenkende hetzen, sie denunzieren, tätlich angreifen und ihnen die demokratische Legitimation absprechen wollen“

Gudenus, 30.1.’12: „Der neue Faschismus wird nicht sagen: Ich bin der Faschismus; er wird sagen, Ich bin der Antifaschismus!“ „Dieses Zitat des italienischen Schriftstellers und sozialistischen Widerstandskämpfers Ignazio Silone beschreibt die aktuelle Situation ganz gut, zumal seit Freitag eine regelrechte Jagd auf all jene in dieser Republik gemacht wird, die sich nicht dem linken Zeitgeist unterordnen wollen.

was die Cyberweiber übrigens ihrerseits hier kommentieren.

SOS-Österreich, 31.1.’12 zitiert Kickl.

unzensuriert, 24.2.’12: Viele warnen daher mit Verweis auf das dem italienischen Schriftsteller Ignazio Silone zugeschriebene Zitat: Wenn der Faschismus wiederkehrt, wird er nicht sagen: Ich bin der Faschismus Nein, er wird sagen: „Ich bin der Antifaschismus.“

FP-Gudenus, 7.12.’12: Gudenus schreibt den Grünen den Spruch des sozialistischen
Schriftstellers Ignazio Silone ins Stammbuch: „Der neue Faschismus wird nicht sagen, ich bin der Faschismus, er wird sagen, ich bin der Antifaschismus.“ Die ideologische Radikalisierung gerade der Wiener Grünen bereitet im größte Sorge.

(ja, da steht wirklich „im“)

unzensuriert, 8.2.’13: „Wenn der Faschismus wiederkehrt, wird er nicht sagen: ‚Ich bin der Faschismus.‘ Nein, er wird sagen: ‚Ich bin der Antifaschismus:'“ – Wie aktuell dieses Zitat des italienischen Schriftstellers Ignazio Silone ist, wurde den Wienern in den Abendstunden des 1. Februar ein weiteres Mal drastisch vor Augen geführt.

(keine Spur von der „Zuschreibung“ mehr)

HC Strache, 30.4.’13: „Die Antifaschisten sind die neuen Faschisten“, sagte ein bekannter italienischer Kommunist! Heute marschiert jedenfalls wieder einmal die Sozialistische Jugend (SJ) in Wien (vor dem 1. Mai) und hetzt sichtbar gegen meine Person und die FPÖ!

(wer der „bekannte Kommunist“ war, ist ihm wohl entfallen, genauso wie der Wortlaut des Zitats)

Wir sind Strachianer, 15.5.’13: „Der neue Faschismus wird nicht sagen: Ich bin der Faschismus; er wird sagen, Ich bin der Antifaschismus!“ (Ignazio Silone)

FP-Gudenus, 3.6.’13: Er zitiert den linken italienischen Schriftsteller Ignazio Silone, der wusste: „Wenn der Faschismus wiederkehrt, wird er nicht sagen: Ich bin der Faschismus.
Nein, er wird sagen: Ich bin der Antifaschismus.“

Zu guter Letzt klärt uns noch die Seite Stoppt die Rechten über das rechte Sprachverhalten und die Faschismuskeule auf:

Kaum ein Satz wird von RechtsextremistInnen in der Konfrontation mit AntifaschistInnen häufiger zitiert als der Ignazio Silone zugeschriebene Satz.

Der Satz findet sich in Nazi-Foren wie etwa thiazi oder der rechtsextremistischen „Weltnetzenzyklopädie“ Metapedia“ wie auch in Reden und Presseaussendungen von FPÖ-PolitikerInnen (z.B. Kickl und Gudenus) wieder und wird völlig unhinterfragt als Angriff gegen jene genutzt, die sich als AntifaschistInnen bezeichnen.

Mit dem Zitat von Silone, einem antifaschistischen Widerstandskämpfer mit bewegtem Leben im Spannungsfeld, aber auch in der Schnittmenge von Kommunismus und Christentum, machen sich RechtsextremistInnen selbst keine Freude: Das Zitat ist nicht belegbar (es wurde Silone zehn Jahre nach seinem Tod lediglich zugeschrieben) und kontextlos.

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10 Antworten zu Über untergejubelte, aber gern verwendete Zitate

  1. dervierzehntegast schreibt:

    Wieso soll die Bondy-Zitierung eine ungenügende Quelle sein? Haaaalloooo?!? Bondy und Silone standen in langem Kontakt und gedanklichen Austausch. Dass Silone sich also entsprechend gegenüber Bondy geäußert hat, und zwar
    – entweder sinngemäß in einem längeren Gespräch, welches Bondy in einem Fazit als Aperçu zusammenfasste
    – oder als tatsächlich knappes Zitat, dass Bondy wortwörtlich, oder zumindest sinngemäß wiedergab

    ist also absolut möglich, sogar wahrscheinlich. Denn warum sollte Bondy eine solche Äußerung einfach erfunden und Silone in den Mund gelegt haben? Bondy, als Jude und selbst Verfolgter des NS, hätte sicherlich keinerlei Interesse gehabt, in einem tagespolitisch interessegeleiteten Sinne den „Antifaschismus“ zu diskreditieren – im Übrigen bedeutet es auch eine – für die heutige sog. „Linke“ typisch und charakteristisch – intellektuelle Verkürzung, aus diesem Silone-Zitat eine beabsichtigte Diskreditierung eines „echten“ Antifaschismus zu behaupten. Auch der Zeitpunkt der Veröffentlichung von Bondys Band im Jahr 1988 spricht für die Authentizität. Denn damals gab es noch keine kindische „Anti-Fa“ mit ihren charakteristisch pubertären und quellenfernen Geschichtsreflektionen, und schon gar keine, die schon im äußeren Erscheinungsbild so sehr ihren Ehrgeiz darein legt, dem echten FA zu gleichen. Im Gegenteil: gerade der versierte intellektuelle und politische Seitenwechseler Silone wäre dafür prädestiniert gewesen, die Instrumentalisierung des „Antifaschismus“ im Interesse eines neuen Totalitarismus sofort und instinktiv zu begreifen.

    • lagushkin schreibt:

      Die a href=“https://lagushkin.wordpress.com/category/zitate/“ target=“_blank“>Zitate-Reihe macht sich zur Aufgabe, dem Ursprung fragwürdiger Zitate auf den Grund zu gehen. „absolut möglich“ oder „sogar wahrscheinlich“ zählt dabei nicht, und wird als Mutmaßung abgelehnt. Wie schon im Artikel geschrieben: „Da sich eine Nichtexistenz generell nicht beweisen lässt, muss folglich der Existenzbehaupter die Existenz beweisen.“

      • Gugger74 schreibt:

        “Da sich eine Nichtexistenz generell nicht beweisen lässt, muss folglich der Existenzbehaupter die Existenz beweisen.”

        Ist diese abstruse Behauptung irgendwo gesetzlich geregelt? Wenn ja, bitte Quellenangabe! Ansonsten bitte nach Dieter Nuhr halten und nicht einfach irgendwelchen Bullshit hier behaupten.
        Wenn weder das Eine, noch das Andere nachweisbar ist, dürften beide Seiten gleichermaßen im Recht sein (oder im Unrecht, je nachdem, ob die Flasche halbvoll oder halbleer ist).

      • lagushkin schreibt:

        Warum sollte eine der Grundlagen wissenschaftlichen Arbeitens „gesetzlich“ geregelt werden?

        Über die Unmöglichkeit des Beweises einer Nichtexistenz haben sich schon schlauere Leute Gedanken gemacht – es sei hier auf Russell’s Teapot verwiesen. Auch ratioblog behandelt diese Frage. Oder einfach das Internetz konsultieren.

        In diesem Sinne auch Ihnen einen schönen Nuhr.

  2. dervierzehntegast schreibt:

    Das ist absoluter Blödsinn, denn zahlreiche Zitate wie auch Informationen sind „indirekt“ überliefert, und dennoch glaubwürdig. So werden – zurecht – viele Zitate Goethes durch seinen langjährigen Freund und Gehilfen Eckermann überliefert, für die sich keine schriftlichen Äquivalenzen (mehr) in Goethes Nachlass finden. Genau deshalb gibt es Quellenkritik – nur das gelten zu lassen, was sich direkt in der Handschrift eines Nachlassers finden lässt ist pseudo-wissenschaftlicher Unsinn.

  3. AltFryRhätien schreibt:

    Es ist die Wahrheit! Es ist doch völlig egal, woher sie stammt! Der Inhalt zählt und ist empirisch erwiesen!

  4. Pingback: Über die Nachträge zum Jahreswechsel | Dominik Lagushkin

  5. Luca-Ungdomsfront schreibt:

    Mir ist natürlich klar wie gut das Zitat von den Rechten verwendet werden kann. Von daher wünschte ich Silone hätte es nie gesagt. Aber natürlich glaub ich Bondy, denn er ist eine absolut vertrauenswürdige Quelle. Und wenn man es im Kontext ließt ist es auch überhaupt nicht rechts zu verstehen. Die Möglichkeit, dass eine wirkliche linke Bewegung zur Errichtung eines totalitären Staates mißbraucht wird, hat es immer gegeben. Jeder echte Linke muß dagegen ankämpfen, dass unser Versuch eine bessere Welt zu schaffen durch die Machtgier – und Machtgier ist der Hauptantrieb des Faschismus – durch die Machtgier einiger Demagogen, die Massen begeistern können, zerstört wird. Und das wußte Bondy und das wußte auch Silone und ich weiß, dass du das auch weist und dass du diesen Artikel geschrieben hast, weil die Rechten den Satz mißbrauchen. Aber ich denke, dass wir das Zitat nicht bestreiten dürfen, denn Bondy ist eine einwandfreie Quelle, stattdessen müssen wir überall wo es vorkommt unsere Deutung einbringen und es den Rechten wieder wegnehmen, denn das Zitat ist Eigentum der wahren Linken.

  6. blaubeerbaum schreibt:

    Wenn mein bester Freund verstirbt, bleiben Worte von ihm hinterlassen, die mir wichtig und unersetzlich geworden sind, deren authentischen Widergabe mir so etwas wie eine heilige Verpflichtung ist. Viele solcher Zitate sind auf diesem Wege der Weltgeschichte hinterlassen. Göthe wurde schon genannt. In diesem Sinne denke auch ich, dass es geradezu als geboten scheint, dieses Zitat Silone nicht nur zuordnen zu dürfen, sondern es zuordnen zu müssen.

    Ich bewundere hier das mir ehrlicher erscheinende Bemühen des obigen Forenschreibers, Luca-Ungdomsfront, 12. Juni 2015 um 21:41! Wenngleich ich der Meinung bin, dass es hier um eine grundsätzliche Erkenntnis, um eine Wahrheit geht, die geradezu vor jeglichem Faschismus, dem Linken, wie auch dem Rechten warnt und diese Wahrheit von keiner Seite für sich vereinnahmt werden darf. Faschismus ist die Gier nach vollkommener allumfassender Macht des Menschen, die keine Farbenzugehörigkeit kennt! Die Geschichte hat es doch wiederholt gezeigt. Am Ende standen Konzentrationslager gegen Andersdenkende, links wie rechts!

    Für mich bleibt Bondy ein glaubhafter Zeitzeuge Silones und ich finde die oberflächliche Bewertung des Überbringers Bondy und insbesondere die 50/50 Abschlußbewertung mehr dem Wunsch der eigenen Sichtung des Bewerters dienlich! Und selbst wenn es Silone wortwörtlich so nicht gesagt haben sollte, hat es mit Bondy doch ein Mensch weitergegeben, der authentisch in der Geisteswelt Silones haftete. So oder so! Die Wahrheit des Satzes ist von seltenster Klarheit in der Aussage! So klar und wahr, dass mir letztlich völlig bedeutungslos erscheint ob Bondy oder Silone der wirkliche Urheber ist. Alles in Allem allerdings darf dieser Satz nach meiner Überzeugung beruhigt Silone zugeschrieben werden!

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